Zwischen Hoffnung, Illusion und Komplexität

„Wir brauchen eine Querschnittssolidarität“. Dieser Satz des Nahost-Referenten des Berliner Missionswerks, Jens Nieper, prägte die Tagung der Evangelisch-reformierten Kirche zum Frieden im Nahen und Mittleren Osten. Zweieinhalb Tage lang setzten sich 30 Mitglieder aus den Ausschüssen Theologie, Juden und Christen sowie Partnerschaft und Mission intensiv mit der Frage auseinander „Was fördert den Frieden im Nahen und Mittleren Osten“.

Jens Nieper meinte mit seiner Forderung nach der Querschnittssolidarität, dass die alten Blöcke der Solidarität auf der einen Seite mit dem jüdischen Staat Israel und auf der anderen Seite mit den Palästinensern der Lage in der Krisenregion nicht gerecht werden. Auch in der Evangelisch-reformierten Kirche gibt es diese Lager. Nieper wünscht sich eine Ablösung des alten Begriffs der doppelten Solidarität. In der verworrenen Situation sei es hilfreich, jeweils genau hinzusehen, „wer dort unsere Verbündeten sind“.

Ausrichter der Friedenskonsultation vom 12. bis 14 Oktober 2015 in Berlin war die Evangelisch-reformierte Kirche in Kooperation mit Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste. Neben dem ehemaligen Botschafter Israels, Shimon Stein, dem ehemalige SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt und den Bundestagsabgeordneten von CDU und Grünen, Gitta Connemann und Volker Beck war auch die diplomatische Vertreterin der Palästinenser in Deutschland Khouloud Daibes Gesprächspartner in der Konsultation.

Shimon Stein und Karsten Voigt waren sich in einem sehr einig: Die alte politische Einschätzung aus dem vergangenen Jahrhundert, dass der Frieden zwischen Israel und Palästina der Schlüssel für einen Frieden im Nahen Osten sei, gelte nicht mehr. „Die Region wird nicht stabiler, wenn Israel und Palästina Frieden schließen“, so der ehemalige SPD-Außenpolitiker. Stein ergänzt: „In der aktuellen Eskalation ist ein Ende nicht absehbar.“ Stein und Voigt gaben den Teilnehmern der Konsultation klare Aussagen mit auf den Weg, die alle unter einen zweiten, die Tagung prägenden Begriff fallen: Die Lage ist extrem komplex. So meint Stein, dass die deutsch-israelische Beziehung keine deutsche Herzensangelegenheit sei, jedenfalls nicht bei der Mehrheit der Bevölkerung. In den nächsten Jahren werde der Ausgangspunkt für diese Beziehungen, die Rolle der Shoa, in ihrer Bedeutung abnehmen. Gegenseitige Interessen würden wichtiger, die Komplexität nähme zu. Karsten Voigt redet einer pragmatischen Außenpolitik das Wort. Wenn das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehören, wie es kürzlich die Bundeskanzlerin bestätigte, dann müsste Deutschland auch bereit sein, Israel im Angriffsfall zu verteidigen. Verantwortungsethik sei gefragt, keine Gesinnungsethik.

Die Komplexität der Lage im Nahen Osten machte auch das Grußwort der palästinensischen Botschafterin in Deutschland, Khouloud Daibes, deutlich. Sie sprach von großer Hoffnungslosigkeit in den Palästinensergebieten. „Es ist der Zeitpunkt nah, wo es weder in der palästinensischen Welt noch in der israelischen Träger einer politischen Lösung gibt“, sagte die diplomatische Vertreterin wenig diplomatisch. „Es gibt nicht die Hoffnung, dass der status quo erhalten bleibt. Jeden Tag wird unser Gebiet kleiner, die Siedler werden gewalttätiger.“

Die Tagung weitete zudem den Blick über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinaus – was die Beantwortung der Frage der Konsultation erwartungsgemäß  nicht einfacher machte. So stellte der deutsch-österreichische Theologe und Ethiker Ulrich Körtner mit Blick auf den Staatsgründungsprozess des sogenannten Islamischen Staates die bisherigen friedensethischen Aussagen der Kirchen in Frage. „Die Frage nach neuen militärischen Einsätzen wird sich stellen – und es gibt in der EKD dafür keine hinreichenden Kriterien“, so Körtner. Die bisherigen friedensethischen Aussagen seien dem politischen System der 90er Jahre verhaftet. So sei dort immer von einer Gewalt die Rede, „die Recht wieder herstellen“ solle – und nicht von einer, „Recht schaffenden Gewalt“. Wenn eine politische Lösung gegen den IS die Einrichtung von Schutzzonen sei, gehe es nicht ohne militärische Gewalt, meinte Körtner.

Auch die Journalistin Katja Buck gab den Teilnehmern der Tagung Aufgaben mit auf den Weg. Sie forderte einen größeren Einsatz für die Christen im Nahen Osten. „Ihr habt den Nahen Osten aufgegeben“, sagte sie provozierend an die Kirchen in Deutschland gerichtet. Irak und Syrien würden bald christenfrei sein, so Buck. Aus diesen Ländern käme der in ihren Augen berechtigte Vorwurf, im Stich gelassen zu werden.

Galt bislang immer bei allen internationalen Konflikten – so auch im Nahen Osten - , dass den Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde, wurde den Teilnehmern auch diese Illusion genommen. Karsten Voigt wies daraufhin, dass bei allen wichtigen bisherigen Schritten auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung zwischen Israel und Palästina die UN nicht beteiligt gewesen sei: nicht in Camp David, nicht in Oslo. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft, Gitta Connemann, forderte eine Führungsrolle der EU und wurde dabei nicht konkret.

„Was fördert den Frieden im Nahen und Mittleren Osten?“ Die Konsultation förderte wenigstens eine Einsicht zutage: Das Eintreten ausschließlich für die Interessen der einen Seite oder der anderen Seite – für die Sache der Palästinenser oder für die Sache der Israels bringt die Menschen dem Frieden nicht näher.

Ulf Preuß, 19. Oktober 2015

Dokumentation der Beiträge der Tagung und Reaktionen

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